GESCHICHTEN
               hinter der Kreativität

Architekten arbeiten normalerweise im Verborgenen und werden meist nur bei Grundsteinlegungen, Richtfesten und Gebäudeeinweihungen wahrgenommen - wenn überhaupt. Vielleicht ist es daher für Sie einmal interessant, ein wenig hinter die Kulissen zu blicken und zu erfahren, was so alles geschieht auf dem Weg von der ersten Idee bis zur großen Party. Als Beispiel möchte ich Ihnen hier weder eins der vielen Einfamilienhäuser oder Gewerbegebäude zumuten, die ich planen durfte, sondern eins, das ein wenig heraussticht aus dem Häusleallerlei, das uns täglich umgibt.


"Entwerfen Sie mir einen Unfallschwerpunkt!"

So lautete tatsächlich die Aufgabe, die mir der Bauherr bei unserem ersten Ortstermin stellte. Er hatte mit eigenen Händen ein kleines Vermögen aufgebaut, das es ihm schließlich erlaubte, ein ehemaliges Stahlunternehmen vor den Toren Kölns zu erwerben, um dort seinen Traum von einem Kunst- und Gewerbezentrum zu verwirklichen. Eine alte Gießereihalle wollte er als Kunsthalle erhalten, aber darüber sollte etwas völlig Verrücktes schweben. Mir blieben nur zwei Möglichkeiten: kopfschüttelnd weiter zu ziehen oder ins kalte Wasser zu springen. Ich kleidete mich in Neopren und blieb...


Worst first - Ideen gesucht

Der Bauherr liebte den Dekonstruktivismus. Ich liebte Science-Fiction und dabei allem voran den Film "Alien". Die Idee für den Entwurf musste ich also nicht erst lange suchen - wie wäre es, wenn ein kleiner Raumfrachter auf der alten Gießereihalle eine Bruchlandung veranstaltet hätte? Die erste Skizze sehen Sie im ersten Bild auf dieser Seite, die anscheinend auch ganz gut ankam - ich sollte damit mal weitermachen...

Nun gut, die Nostromo brauchte ein paar unwesentliche Details, wie z.B. ein Treppenhaus. Alles "Normale" kam nicht in Frage und so verbrachte ich einige Zeit vor Ort und studierte die Umgebung, um nach Ansätzen zu suchen, die es zu entwickeln lohnte. Was mir dabei sofort ins Auge sprang, war eine Skulptur aus Corteen-Stahl, die in einem kleine Tümpel vor der Halle dahindümpelte. Der Bauherr hatte sie entworfen und er hätte sicherlich nichts dagegen, wenn ihre Geometrie im neuen Gebäude widergespiegelt würde. Bauherren lieben so etwas. In der Plastik dominierte der Winkel von 15 Grad und das passte. Chaos wird schließlich erst schön, wenn ein gewisses Ordnungsprinzip zu Grunde liegt und 15 Grad eignen sich dafür hervorragend. Ich experimentierte jetzt also mit verschiedenen Baukörpern, die sich durch Farbe und Material deutlich unterscheiden sollten und immer, wenn etwas vom Dach zu purzeln hatte, geschah dies mit diesem Winkel. Es war an der Zeit für den nächsten Entwurfsschritt, nämlich eine - zugegebenerweise äußerst rustikale - Visualisierung inform simpler Fotomontagen, die Sie hier sehen:

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Meine stille Hoffnung, das Projekt könnte an dieser Stelle den üblichen Weg in die runde Zwischenablage nehmen, wurde nicht erfüllt. Statt dessen sollte ich jetzt wirklich konkret werden. Hier müssen Sie jetzt tapfer sein, lieber Leser, denn es geht tief in den schnöden Alltag der Architektur. Ein paar Dinge braucht eben jeder Raumfrachter, wenn er später funktionieren soll. Das Treppenhaus hatten wir ja schon, aber oben angekommen, werden WCs gebraucht, eine Küche, ein Besprechungsraum, Dachterrassen usw.. Wir nennen das ein Raumprogramm. Witzigerweise musste ich mir das auch selbst ausdenken, denn eine wirklich konkrete Nutzung für das UFO lag zu diesem Zeitpunkt noch nicht vor. Möglicherweise wollte der Bauherr mit seinem Büro hierhin umziehen, aber klar war das nicht wirklich.

Speziell bei diesem Projekt lief der Entwurfsprozess zu 90% über Modelle. Im Maßstab von 1:50 lassen sich nahezu alle wichtigen Dinge vernünftig darstellen und das Arbeitsmodell war modular aufgebaut. Man konnte jedes Bauteil einfach abnehmen, um ins Innere zu sehen. Mit Fixogum, einem wieder ablösbaren Kleber, konnte ich verschiedene Oberflächen darstellen und austauschen. Anhand eines solchen Modells lassen sich z.B. auch notwendige Leitungsführungen entwickeln, denn schließlich wollen Toiletten auch entwässert werden, selbst wenn darunter nur jede Menge Luftraum ist. Aber eine alte Architektenweisheit lautet: Wasser findet immer einen Weg...

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Was sich allerdings als echte Herausforderung erwies, waren die üblichen Marginalien des Bauwesens: die Statik und der Brandschutz. Finden Sie einmal Fachingenieure, die sich hier rantrauen!


Die Statik

Wir fanden schließlich einen flexiblen Statiker im sommerlichen Erkelenz, der den Fehdehandschuh aufhob. Ich bewundere noch heute diesen Mann und bedaure gleichzeitig seinen besten Mitarbeiter, der das ganze bewältigen musste. Der neue Bau sollte statisch völlig unabhängig über der alten Halle schweben. In die alte Bausubstanz konnten keine Lasten übertragen werden. Auf nur acht schlanken Stahlstützen würde eine Plattform ruhen, die ihrerseits die kompletten, schrägen Aufbauten tragen sollte.

Ich hatte nach ewigen Aufmaßen von Anfang an alles dreidimensional im Computer geplant und diese CAD-Pläne konnten jetzt vom Statiker in konkrete Träger und Stützen übertragen werden. Nach zahlreichen Arbeitssitzungen und Ortsterminen lieferte er sein ebenfalls dreidimensionales Ergebnis. Chapeau! Es war an der Zeit für ein weiteres Modell im Maßstab 1:50.


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Dieses Modell stand auf dem Besprechungstisch, als ein Stahlbauer den Raum betrat, der einen fetten Auftrag witterte. Ihm fielen fast die Augen aus dem Kopf und fragte nur "das soll ich bauen?" Er wurde nie wieder gesehen...


Lästig wie der TÜV für Mopedtuner: der Bauantrag

Die Hürde der Baugenehmigung ließ sich erstaunlich easy nehmen. Vielleicht lag es daran, dass der gute Kollege auf dem Bauamt bis heute nicht begriffen hat, was da auf seinem Tisch landete. Vielleicht dachte er, das Projekt würde eh nicht ernsthaft verwirklicht? Wir erhielten jedenfalls relativ schnell unsere Baugenehmigung.

In diesem Zusammenhang ist stets der Brandschutz extrem wichtig. Die Feuerwehr sah unsere zwei unabhängigen Fluchtwege und zusätzliche Anleiterpunkte an den Dachterrassen. Sie bestand lediglich auf vernetzten Brandmeldern, die oben Alarm schlagen würden, wenn in der unteren Halle ein Feuer ausbrechen würde. Im Ernstfall käme jeder rechtzeitig aus der Gefahrenzone.


Die Ausführungsplanung

Wirklich herausfordernd war es jetzt, die Pläne für die Baustelle zu zeichnen. Bei einem normalen Discountermarkt muss ich einen Grundriss, die Ansichten, drei Schnitte und ein paar kleinere Details liefern. Den Rest schaffen die Firmen mit verbundenen Augen. Hier war es ein wenig aufwendiger.., Ich möchte Sie nicht langweilen, daher hier nur ein Beispiel: Das Treppenhaus.

Das gute Teil ist in zwei Richtungen geneigt - Sie ahnen es schon, jeweils um 15 Grad. In eine derart geneigte Wand eine Eingangstür zu planen, die auch im Brandfall funktieren muss, ist schon ein Spaß für sich. Die Tragkonstruktion der großen "Frittentüte", wie wir intern das Treppenhaus nannten, besteht aus quadratischen Stahlrohren, an denen jede Menge Laschen angeschweisst wurden, die ihrerseits die Außenhülle tragen sollten. Im Inneren läuft jetzt eine Treppe nach oben, bei der tatsächlich jede einzelne Stufe eine eigene Geometrie besitzt. Mit anderen Worten: kein Teil gibt es doppelt. Ich durfte also dem Stahlbauer, der schließlich den Mut besaß, das Projekt zu verwirklichen, eine eigene Zeichnung für jede dieser Stufen erstellen - da bekommt der Tag Struktur! Richtig spannend wurde es dann, als der Montagetrupp mit diesem Metallbaukasten auf der Baustelle das Ganze zusammenschraubte und was soll ich sagen: alles passte perfekt! Da hat man als Architekt schon mal ein paar schlaflose Nächte und misst bis zum Einbruch der Dunkelheit alles dreifach nach.,.

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Meister ihrer Zunft: die Stahlbauer

Eines muss ich hier einmal deutlich sagen: Ich habe die größte Hochachtung für unsere Handwerker, die tagtäglich die Dinge verwirklichen, die sich so leicht aufs Papier bringen lassen! Dies betrifft alle Gewerke am Bau und hier eben im besonderen die Stahlbauer, die ohne mit der Wimper zu zucken, Teil für Teil mit absoluter Präzision herstellen und schließlich zusammenbauen!

Es gab nur einen Moment der ein wenig dramatisch wurde und wo sich Theorie und Praxis einen Kampf mit der Physik lieferten. Ein großes V-förmiges Dachelement hing an zwei Montagepunkten am Kran und die gute alte Schwerkraft, mit der niemand gerechnet hatte, führte dazu, dass sich die Konstruktion etwas durchbog. Es erforderte dann einiger heftiger Überzeugungsarbeit mit einem stattlichen Hammer, bis die Schrauben endlich in die vorgesehenen Bohrungen rutschten und sich befestigen ließen. Anschließend brauchte ich ein paar Minuten, um meinen Puls wieder auf seinen Standard von 60 zu bringen...

Die Tragkonstruktion musste während der Bauzeit immer wieder von einem unabhängigen Prüfstatiker abgenommen werden. Bei einem dieser Termine führte ich ihn über die Baustelle und beim Anblick dieses gebauten Chaos schüttelte er den Kopf und sagte mir "Wissen Sie, ich mach mir über den Seelenzustand des Architekten ernsthafte Sorgen!" Ich habe ihn nie darüber aufgeklärt, wer ich war, aber falls er dies zufällig lesen sollte, so möchte ich ihn von ganzem Herzen beruhigen - meiner Seele geht es hervorragend.

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Die Ausbaugewerke

Sie kennen ja bereits unsere "Frittentüte", die im nächsten Akt des Dramas ihre Außenhülle erhalten sollte. Das Material hatte ich zuvor noch nie eingeplant, aber es stellte sich als perfekte Wahl heraus: Kerto-Platten. Im Grunde handelt es sich um eine besondere Form von wasserfest verleimten Sperrholzplatten. Ihre Maße waren jedoch ein wenig ungewöhnlich, denn bei einer Stärke von 40mm hatten sie eine Länge von bis zu 15 Metern! Die Montagefotos zeigen, dass sich diese Plattenmonster durchbogen wie eine dünne Pappe. Einmal montiert trotzen sie bis heute klaglos Wind und Wetter.

Der restliche Ausbau verlief dann völlig normal. Allerdings habe ich noch heute die Panik im Gesicht des Heizungsmonteurs vor Augen, als er schon fast alle Heizkörper montiert hatte und dann der Bauherr beim Besuch auf der Baustelle die Idee hatte, statt dessen eine Art von Heizobjekten in die Stahlstützen zu integrieren. Der Monteur zählte still mehrfach bis zehn, demontierte seine bisherige Arbeit und fuhr in die Werkstatt, um die Heizobjekte zusammen zu schweissen. Als diese schließlich montiert wurden, waren sich alle einig, das sie eine super Idee waren - nur wegen des Timings blieben gewisse Vorbehalte bestehen.

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